Leinen los! Ein Selbstversuch.

Was passiert, wenn man sich nach Jahren Maschinennutzung plötzlich komplett auf reine Handwerkzeuge beschränkt?

Nachdem ich in letzter Zeit serienweise und mit steigender Ehrfurcht Paul Sellers Videos aus der Woodworking Masterclass auf YouTube angesehen habe, wollte ich wissen, wie es mir damit ergeht, wenn ich selbst mal völlig auf elektrische Unterstützung verzichte.

Ein bisschen war das eine Rückbesinnung auf meine ersten Kontakte mit dem Holzwerken in der kleinen Werkstatt meines Vaters in einem der Kellerräume meines Elternhauses. Ich war damals vermutlich zehn oder so.

Die ersten Werkzeuge mit denen mein Vater mich üben ließ, waren alle ohne Strom. Eine Rückensäge, ein Handbohrer zum Kurbeln, eine Laubsäge, merkwürdige Bohrer aus einem Stück Draht und natürlich ein Hammer. Abgesehen von Laubsägearbeiten und Kastanienmännchen kann ich mich nicht mehr daran erinnern, was ich damals gebaut habe. Seltsamerweise habe ich die Werkzeuge noch genau vor Augen.

Erst später kam eine knall-orange Bohrmaschine dazu. Geräuschentwicklung vergleichbar mit einer startenden Tupolew. Die muss in den 70ern der letzte Schrei gewesen sein. Alles was komplizierter war, sammelte sich dann ein paar Jahre später an, wie Kreissäge, Oberfräse und Dübelschablone. Mein Vater gab mir jeweils eine kurze Einweisung und lies mich dann selbst Erfahrungen mit dem Werkzeug sammeln.

Damals erschien mir die Arbeit mit Handwerkzeugen komplett normal — ich hatte ja keine Alternativen. Dann kamen die Elektrowerkzeuge und die Handwerkzeuge gerieten in Vergessenheit.

Zurück in der Gegenwart entschloss ich mich einen einfachen Sockensortierer unter Beschränkung auf Werkzeug ohne Strom zu bauen. Der brauchte sehr viele gleichartige Holzverbindungen: Überlappungen und genutete Verbindungen. Ideal zum Üben durch ständige Wiederholung.

Erkenntnisgewinn:

  1. Vom Ansehen der Paul Sellers Videos wird man noch kein Paul Sellers. Ich tröste mich damit, dass er mir was die Übung mit Handwerkzeugen angeht vermutlich 50 Jahre voraus hat.
  2. Die Videos anzusehen hat sich trotzdem gelohnt, viele der Tipps hätte ich schon Jahre früher gebrauchen können.
  3. Arbeiten macht nur mit sehr scharfen Handwerkzeugen Spaß. Ab Werk sind die meisten nicht richtig scharf. Da muss man selbst nachhelfen.
  4. Handhobel sind gar nicht so ein Mysterium, wenn man mal nachliest, wie man sie richtig einstellt und führt. Und fleißig übt.
  5. Arbeiten mit Handwerkzeugen ist unglaublich leise. Reines Zen. Außerdem deutlich wohnhauskompatibler. Das erlaubte es mir im Keller zu arbeiten anstatt in meine Werkstatt zu fahren.
  6. Grobe Späne sind so viel angenehmer als der Staub der bei der elektrischen Bearbeitung entsteht.
  7. Handwerkzeuge brauchen viel weniger Platz.
  8. Längsschnitte sind echte Knochenarbeit.
  9. Nuten zu schneiden macht ohne Grundhobel keinen Spaß.
  10. Mit einem Handhobel kann man hervorragend Fehler durch Einsetzen exakter Füllstücke beseitigen.
  11. Zeigefinger raus an der Handsäge! Das stabilisiert ungemein.
  12. Verglichen mit der Arbeit mit elektrischen Werkzeugen brauche ich ewig.
  13. Ich nehme nie wieder für ein ernst gemeintes Projekt das billigste Sperrholz aus der Grabbelkiste beim grünen Baumarkt. Das Zeug splittert schon beim Hinsehen.
  14. Ein Kombiwinkel ist ein unglaublich flexibles Instrument. Warum hatte ich so was nicht schon immer?
  15. Bei einem schwedischen Vertrieb von Pressspanmöbeln hätte ich meinen Sockensortierer für den Gegenwert von €5 und einer halben Stunde Anstehen statt fünf Stunden Sägen und Arbeiten mit dem Stechbeitel bekommen. Allerdings ohne den damit verbundenen Erfahrungsgewinn.

Nach zwei Wochen Selbstversuch muss ich sagen, dass ich den Reiz der stromlosen Holzarbeit jetzt sehr gut nachvollziehen kann. Ich werde in Zukunft öfter solche Projekte machen.

2 thoughts on “Leinen los! Ein Selbstversuch.

  1. Oh, mein lieber Sohn. In der Gästezimmertoilette steht Dein selbstgeschreinerter Blumentisch. Er wird bei uns in allen Ehren gehalten. Gott sei Dank konntest Du in meiner kleinen Werkstatt aufrecht stehen bei der Arbeit:-) Diese Bequemlichkeit hatte ich nicht, als ich mir meine ersten Regale in einem Speicherverschlag unter einem Schrägdach herstellen musste. Das war vor….50/51 Jahre.

    • Ach ja, den Blumentisch hatte ich ganz vergessen. Der stammt noch aus der Zeit als eine Stichsäge die einzige elektrische Säge war, zu der ich Zugang hatte. Mit meinen heutigen ästhetischen Ansprüchen ist die Konstruktion nicht mehr so richtig kompatibel. Aber immerhin ist sie noch gut für Nostalgie.

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